Noven im Berufungsverfahren
Art. 317 ZPO, Art. 328 ZPO
Im Berufungsverfahren können Noven bis zum Beginn der Beratungsphase geltend gemacht werden. Teilt das Berufungsgericht den Parteien mit Verfügung mit, dass es auf die Durchführung eines zweiten Schriftenwechsels und auf eine Berufungsverhandlung verzichtet, gibt es den Parteien klar zu erkennen, dass es die Berufungssache für spruchreif hält und nunmehr zur Urteilsberatung übergeht. Nachträglich vorgebrachte Noven sind deshalb nicht mehr zu berücksichtigen.
BGer 4A_619/2015 vom 25. Mai 2016 (zur Publikation vorgesehen)
Im Berufungsverfahren eines Schadenersatzprozesses teilte die Berufungsinstanz (Obergericht Appenzell A. Rh.) den Parteien mit Verfügung vom 9. Februar 2015 mit, dass kein zweiter Schriftenwechsel und keine Berufungsverhandlung angeordnet werde. Mit „freiwilliger Eingabe“ vom 7. April 2015 brachte die Klägerin neue Tatsachen vor und nannte als Beweismittel einen neuen Zeugen. Am 26. Mai 2015 wurde die Berufung abgewiesen.
Im Berufungsverfahren sind Noven nur ausnahmsweise unter den (abschliessenden) Voraussetzungen von Art. 317 Abs. 1 ZPO zulässig, denn im Geltungsbereich der ZPO sind alle Tatsachen und Beweismittel vor erster Instanz vorzubringen. Das Berufungsverfahren dient nicht dazu, das erstinstanzliche Verfahren zu vervollständigen, sondern den erstinstanzlichen Entscheid aufgrund von konkret erhobenen Rügen zu überprüfen und zu korrigieren (E. 2.2.2).
Die Berufungsinstanz beurteilt grundsätzlich nur die von den Parteien gegen den erstinstanzlichen Entscheid erhobenen Beanstandungen. Sie haben diese innert der Berufungs- bzw. Berufungsantwortfrist vollständig vorzubringen; auch Noven sind grundsätzlich bereits im ersten Schriftenwechsel vorzutragen. Denn im Berufungsverfahren dienen Noven dazu, die Anfechtungsgründe gegen den erstinstanzlichen Entscheid zu untermauern (E. 2.2.4).
Ausnahmsweise sind Noven auch nach abgelaufener Berufungs- bzw. Berufungsantwortfrist zuzulassen, insbesondere wenn ein zweiter Schriftenwechsel oder eine Berufungsverhandlung durchgeführt wird. Noven können aber nicht mehr vorgebracht werden, wenn der Berufungsprozess aufgrund der Spruchreife der Streitsache in die Phase der Urteilsberatung übergeht. Diese beginnt mit dem Abschluss einer allfälligen Berufungsverhandlung oder mit der förmlichen Mitteilung, dass die Berufungsinstanz die Berufungssache für spruchreif hält und nunmehr zur Urteilsberatung übergeht (E. 2.2.5). Nach Beginn der Beratungsphase können Noven nur noch im Rahmen einer Revision gemäss Art. 328 Abs. 1 lit. a ZPO vorgebracht werden. Tatsachen und Beweismittel, die erst nach Beginn der Beratungsphase entstehen, können selbst mittels Revision nicht mehr geltend gemacht werden, sondern nur mittels neuer Klage (E. 2.2.6).
Im vorliegenden Fall hatte die Berufungsinstanz den Parteien mitgeteilt, dass kein zweiter Schriftenwechsel und keine Berufungsverhandlung durchgeführt werde. Damit gab sie den Parteien klar zu erkennen, dass nunmehr die Phase der Urteilsberatung begann. Die nachträgliche Noveneingabe der Klägerin war daher nicht zu berücksichtigen (E. 2.2.7).
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